Schattenkult
Der Schattenkult
425, das Jh. der Dunkelheit
Hanas Serymar liess ein letztes Mal das vertraute Bootstau durch seine Hand gleiten und entliess es in die Dunkelheit des Wassers. Ein kalter Schweiss lag ihm im Nacken als er langsam und gemächlich erst das kleine Boot vom Landesteg abschob, um sich dann hinter seine Ruder zu setzen und mit kräftigen Zügen sich vom Land entfernte. Sein bisheriges Leben schien wie ein Traum hinter ihm zu liegen, nichts als eine kindliche Erinnerung, ein schwacher Schimmer seines bisherigen Seins. Der junge Fischer schaute flüchtig hinauf in die klare Nacht, der Mond strahlte auf ihn herab, während das kühle Holz der Ruder rythmisch durch seine Hände glitt. Nie war er sich seiner Umwelt so bewusst gewesen wie heute, noch hatte er sich je so entrückt gefühlt wie an diesem Tag. Ein beinahe unkontrollierbares Gefühl der Freiheit, ein finden seiner Selbst durchschauerte ihn, als er seinen Blick nach Süden richtete: Vorbei an der Dunkelheit des Meeres, hinaus auf das grosse Etwas, das doch schon immer Teil seiner Selbst gewesen war und werden würde. Es war nun völlig ruhig um ihn, nicht einmal das Plätschern des Wassers schien ihm bewusst zu sein. Sein Blick war nun klar und fokussiert, seine Gedankenwelt kreiste nur noch um dieses schwarze Etwas, dem eigentlichen Inhalt seines Lebens-seiner Bestimmung. Zug um Zug tat der junge Mann, gefangen im Sog seiner Gefühle, getrieben durch eine höhere Macht, deren er sich bemächtigen würde. Ja so würde es kommen, so sollte es sein. Was ihn an diesem Abend dazu getrieben hatte aufs Meer hinaus zu fahren konnte er sich nicht mehr erklären, noch war es ihm wirklich von Bedeutung. Er hatte gewartet bis seine Frau Mariel zu Bett gegangen war, dann hatte er seelenruhig alle Kerzen gelöscht, seine Stiefel angezogen und hatte das Haus wortlos verlassen. Nicht einen Blick hatte er zurückgeworfen, er hatte es gar nicht einmal für nötig gehalten sein Ölzeug anzulegen, welches er sonst gewissentlich bei jeder Fahrt hinaus aufs Meer anlegte. Irgendetwas hatte ihn getrieben, seine Schritte gelenkt. Und schon spürte er es wieder, dieses Gefühl der Aufregung, das Kitzeln der Erwartung welche unweigerlich in ihm aufstieg seit dem Tag an dem er dieses wunderschöne Etwas zum ersten Mal gesehen hatte. Die anderen Fischer des kleinen Dorfes Uyhric sprachen in Angst vor der Dunkelheit, von den Schiffen die es verschlang und das Entsetzen das sie auslöste. Selbst der Sturm der Minotauren schien vergessen in ihren Augen beim Anblick dieses mächtigen Etwas, das sich vor genau 25 Jahren zum ersten Mal am Horizont gezeigt hatte. Hanas war damals noch ein kleiner Junge gewesen, der noch gemeinsam mit seinem vor 5 Jahren verstorbenem Vater zur See fuhr, doch auch er hatte die Dunkelheit gesehen und er konnte sich nicht anders helfen als ihn ihr die Schönheit zu sehen, die Perfektion zu entdecken die sich scheinbar den anderen Fischern und Seeleuten verbarg. Über die Jahre, als Hanas langsam zu einem Mann erwuchs, hatte er sich oft bei seinen langen Fischerfahrten dabei ertappt stundenlang in die Dunkelheit hinauszustarren. Es fiel ihm zum Teil schwer nur seinen Blick abzuwenden und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Und Es war gewaschen, mit ihm, wie es schien. Was als kleiner Punkt am Horizont begonnen hatte, erstreckte sich nun über das gesamte südliche Firmament und mit seiner Grösse schien auch die Sorge der Menschen um Hanas zu wachsen, was nun dieses neue "Unheil", wie sie es nannten, zu bedeuten hatte. Merkwürdige Gerüchte machten die Runde, von weit hinausgesegelten Kriegsschiffen der Minotauren, welche die Dunkelheit verschlungen hatte. Auch von meschlichen Fischern war vereinzelt die Rede, die sich zu weit hinausgewagt hatten um nie wieder zurückzukehren. Doch Hanas störten diese Gerüchte nicht, er belächelte sie nur, so wie er die Menschen belächelte die sie erzählten. Nichts wussten sie von seiner Liebe zu dieser Dunkelheit, von seiner engen Verbundenheit zu ihr. Nichts konnte annährend dieser Liebe gleichkommen, nicht einmal Mariel oder seine beiden Kinder. Diese Liebe war perfekt und heute würde er sich mit ihr vereinen, heute würde er neu geboren. Immer weiter ruderte Hanas auf das offene Meer hinaus, Stunde um Stunde ruderte er verbissen weiter und das Wasser schien ihn sogar auf sein Ziel zu treiben, oder war es so das die Dunkelheit ihn zu sich heransog? Hanas merkte nicht das seine Glieder taub wurden, das seine Arme langsam versteiften, nichts konnte ihn mehr davon abhalten sein Ziel zu erreichen. Er fühlte sich jung wie noch nie, nein, vielmehr fühlte er heute überhaupt erst wirklich, als hätte er dies noch nie in seinem Leben vorher getan. Immer ferner glitten seine Erinnerungen, sein altes Leben schien vorbei. Schliesslich, als der Mond langsam verblasste und ein neuer Tag graute, erreichte Hanas den äusseren Rand der Dunkelheit. Wie eine Wand türmte sie sich endlos über ihm auf und schien das Licht um sie herum zu verschlucken, schien den Urgewalten zu trotzen, ja beinahe die Götter selbst zu verspotten...doch was waren Götter schon? Ferne Wesen, klein und schwach im Vergleich zu diesem Etwas, diesem höheren Sein, dieser anderen Sphäre. Hanas holte die Ruder ein und begann sich die letzten Meter auf die Dunkelheit treiben zu lassen. Plötzlich begannen Tränen aus seinen Augen zu rollen und er lachte, zum ersten Mal in seinem Leben lachte Hanas, als er langsam mit seinem Boot durch die Schattenwand hindurchglitt. Es würde das letzte Mal sein das Hanas Serymar lachte...
601, das Jh. des Nahens
Hanas,der er einst gewesen war, trat aus der Dunkelheit hervor. Endlich hatte er den Kontinent erreicht, endlich setzte er den Fuss auf den Staub des Kontinents, den er unterwerfen würde. Seelenruhig starrte er auf die 200 Augenpaare die sich auf ihn gerichtet hatte.
Taran Ketles, Hauptmann der 4. Elitehufgarde der Stiere, spürte wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Ein seltenes Ereignis, wie ihm schlagartig in dem Moment bewusst wurde und er schüttelte sich um den Schauer aus seinen Gliedern zu vertreiben. Als er den Blick über seine Truppen gleiten liess, schien es anderen ebenso wie ihm zu ergehen - ein noch selteneres Ereignis wie ihm ebenfalls schlagartig bewusst wurde. Vor wenigen Tagen hatte es noch so einfach ausgesehen: Taurus selber hatte ihn damit beauftragt diese seltsame Dunkelheit zu empfangen und ihre Ankunft zu beobachten. Diese verfluchte Dunkelheit, über die sich die ebenfalls verfluchten Echsen scheinbar nur in ihrer eigenen Sprache zu unterhalten schienen. Ja diese verfluchten Echsen, wäre es nach Taran gegangen hätte man sie alle gleich zusammentreiben und erschlagen sollen, doch es ging nicht nach ihm. Als Taurus ihm den Befehl gegeben hatte hier an den südlichen Wipfel des Kontinents zu marschieren, schien selbst der mächtige Minotaurenführer nervös gewesen zu sein. Nichts und niemand hatte von dieser Expedition wissen sollen, nicht einmal, bzw. vor allem nicht ihre echsischen "Alliierten", da diese wohl genau ein solches Vorgehen strikt abgelehnt hätten. Doch nun stand Taran hier, umringt von einigen der edelsten Minotaurenkrieger und fürchtete sich: Nicht etwa vor der Dunkelheit als solches, deren schieren Ausmasse schon furchteinflössend war, nein, vor einem Menschen...oder war es überhaupt ein Mensch? Diese Gestalt war in dem Moment als die Dunkelheit, auf die Minute genau zur Mittagsstunde, den Kontinent erreichte einfach aus ihr herausmarschiert. Seelenruhig, als habe er gerade einen kleinen Spaziergang hinter sich gebracht. Schwarze Roben, tiefschwarze Roben umhingen die schmale Gestalt, wobei tiefschwarz noch eine Untertreibung zu sein schien: Die Roben waren so dunkel wie die Dunkelheit selbst, schienen das Licht um sie herum zu schlucken, ja beinahe in sich hineinzusaugen. Doch das was Taran eigentlich hatte schaudern lassen waren die Augen dieses bleichen Mannes, tief in ihren Höhlen waren sie versunken und sie waren so tiefschwarz wie die Roben die ihn umhüllten, schwarz wie die Selle die diese umhingen. Taran fühlte sich gefangen von diesen Augen, dieser Tiefe...er spürte wie er sich ihnen verlor. Er versuchte sich abzuwenden doch er konnte nicht. Ein hönisches Grinsen schien die Mundwinkel der Gestalt zu umspielen, als verpotte ihn die Gestalt wegen seines Unvermögens seinen Blick von ihm loszureissen. Taran versuchte es erneut doch er konnte einfach nicht: Panik stieg langsam aber sicher in dem schlachterfahrenem Minotaurenhauptmann hoch, ein ihm bis dahin gänzlich unbekanntes Gefühl. Völlig unfähig eines Schrittes nach vorn noch nach hinten zu machen starrte Taran weiter und weiter, immer tiefer verlor er sich als die Minuten, oder waren es Sekunden, vergingen. Die ersten Reihen von Minotauren vor ihm schienen in die Knie zu fallen, zitternd vor Angst, doch ebenfalls unfähig ihren Blick zu wenden. Einige der Stiere aus der ersten Schlachtreihe schien nun Blut aus den Augen zu fliessen und es hatte den Anschein als würden ihr Augen platzen. Blut und Augenflüssigkeit schoss aus ihren Augenhölen und wurden aufgesogen von diesem grauenhaften Blick, dieser grauenhaften Kreatur die sich ihnen offenbarte. Immer noch mit einem hönischen Grinsen und seelenruhig dort stehend schienen sich die Züge dieses Mannes zu wandeln, eine unbeschreiblich groteske Fratze präsentiert sich den Minotauren und weiterhin schoss das Blut der Stiere, die Innerein, die Gedärme aus ihren Körpern und in die Augen dieses grotesken Gesichts. Auch Taran merkte wie das Blut begann seinen Blick zu trüben und er ebenfalls begann, zitternd und von Schmerzen durchzuckt in die Knie zu fallen. Das Letzte was Taran mit seinen völlig überforderten Sinnen vernahm war das Grinsen des Mannes, als das Leben den Körper des Stieres verliess und er tief hinein in die Dunkelheit gesogen wurde...
Hanas, der er einst gewesen war, schritt hinaus in den Kontinent. Nichts würde ihn aufhalten, keiner sich ihm in den Weg stellen. Eine neue Zeit war geboren und er war ihr Bote. Von Taran und seinen Männern allerdings ward nie wieder gehört, doch ihre Seelen zahlten den Preis der Offenbarung die ihnen gemacht wurde...